von Elisabeth Vera Rathenböck
… manchmal wie berauscht (…) vom Anblick des Hochgebirges und der blühenden, aus dem Schneelicht und dem Türkis der Gletscher herabfließenden Weiden, über die Wolkenschatten dahinglitten, (…). Christoph Ransmayr, Der fliegende Berg
Gehen in den Bergen heißt: einem Weg vertrauen, dass er nach oben führt. Und oben sein, heißt: die Welt besitzen. Edgar Holzknecht ist ein Wanderer. Er geht hinaus in die Natur, in die Berge des Steyr- und Ennstals, um die Stimmungen dieser Landschaft des Alpenvorlandes sinnlich und unmittelbar zu erleben. Oft hebt sich der Nebel vom Tal aus in die Höhe, ein vom Licht umspielter Schleier, der die schweren Gipfel der Berge in ein fernes Schweigen hüllt, das sich immer wieder lichtet. Einblicke und Ausblicke werden freigegeben, die den Maler faszinieren; berühren sie doch etwas vom Ursprung der Welt. Zu Hause im Atelier entstehen Re-Konstruktionen dieser tiefen Eindrücke, Landschaftsbilder, die alle einen gemeinsamen Blickpunkt wählen: den Standort eines Menschen, der als Wanderer, als Vermittler zwischen Unten und Oben unterwegs ist. Der Ausblick auf die Berge und in die Ferne scheint Anlass und zugleich Ziel dieses poetischen Umherwanderns zu sein, das Holzknecht nun mit dem Pinsel in der Hand in einer abstrakten Malerei umkreist, die das Naturvorbild nicht leugnet. Die Gestaltung eines Landschaftsbildes kommt der Komposition eines Musikstücks gleich, ein Ton folgt dem nächsten und jedes Detail fügt sich zu einem großen Ganzen. Über Tage und Wochen legen sich Farbschichten – bis zu 30 Lagen – auf die Leinwand, um die Eindrücke eines Gebirgsmassivs mit seinen grünen Matten zu konkretisieren. Holzknecht wählt wenige Farben, setzt diese aber in unterschiedlichsten Nuancen ein und immer wieder reißt er die Tektonik der Flächen durch Aufhellung auf. Das Licht wird mit einer subtilen Materialität aufgeladen, was den ätherischen Effekt zwar belässt, aber vor allem die Illusion der Ferne, das Entrücktsein, bei gleichzeitig spürbarer Kompaktheit der Form in den Vordergrund stellt. Feine Schraffuren, die nur beim Nahetreten ans Bild zu entdecken sind, verweisen zurückhaltend auf grundsätzliche Richtungen in der Komposition. Diese graphischen Strukturen im malerischen Aufbau können auch als Spurensuche gedeutet werden. Sie sind notwendig, denn Holzknecht bekennt sich zwar zu Harmonie in der Ästhetik. Durch gedämpfte Expressivität aber bleibt der Arbeitsprozess spürbar, was den Spannungsbogen im einzelnen Werk aufrecht hält. Und weil die Landschaften in natura vielfältigen Wetterstimmungen unterworfen bleiben, schlägt auch Holzknecht in jedem Einzelbild des Werkzyklus einen anderen farbigen Grundton an. Letztendlich ist ein Bild erst vollendet, wenn es in seiner Botschaft dem Erlebten nahe kommt: „Wenn ich da oben stehe und auf die Gipfel schaue, kann ich anders atmen. Dann fühle ich mich frei“, sagt der Künstler.
Die Suche nach einer spürbaren Kompaktheit, die sich vordergründig radikal entzieht, wird bei der Werkgruppe „Figuren“ noch enger fokussiert. Holzknecht malt, dominiert von abgedunkelten Rottönen, unvollständige Figuren in einem angedeuteten Raum. Einige Bilder, oft zu Serien verbunden, konzentrieren sich auf einzelne Figuren, andere zeigen Paare. Schemenhaft wirken diese Gestalten, die oft ineinander übergehen, als würden sie sich berühren. Die Werke beziehen einerseits aus dem Dialog von Figürlichkeit und Abstraktheit eine sichtbare Spannung, andererseits bringt auch die bewusste Unschärfe der Konturen und „Körperlandschaften“ Bewegtheit in die durchkomponierten Formate. Der Betrachter sucht nach Anhaltspunkten, die Auskunft über die Beziehung der Figuren zueinander geben könnten. Er wird fündig, denn die monumental wirkenden „groben“ Darstellungen, geben stets etwas über Distanz und Nähe preis. Diese Indikatoren werden vom Betrachterauge als Hinweise auf Beziehungen gedeutet, den Gesichtern oder Posen ist dagegen nichts Eindeutiges eingeschrieben. Sie sind vielmehr archaischen, mythischen Idolen entlehnt, die zu den Wurzeln unserer Kulturgeschichte führen. Dabei handelt es sich um Urbilder des Menschseins, um geheimnisvolle stehende Gestalten, die etwas Größeres, Allumfassendes berühren. Diesen Moment sucht und findet auch Holzknecht immer aufs Neue. Nicht von ungefähr sagt er: „Das Thema wird für mich nie beendet sein.“ Einen Modus zur Darstellung der menschlichen Gestalt zu ergründen, der sich über Raum und Zeit hinweg bewährt, führt in eine unerschöpfliche Tiefe.
|